AM RAND – Verlassene Tankstellen im Südkaukasus
Immer wieder bin ich die großen und kleinen Straßen gefahren, quer durch den ganzen Südkaukasus, von Armenien über Georgien bis Aserbaidschan. Seit dem Jahre 2012 bin ich unterwegs, um geflüchtete, vertriebene Menschen zu dokumentieren, in ihrem zur Normalität gewordenen provisorischen Leben. Menschen, die vor den zahllosen lokalen Konflikten nach dem Ende des Sowjet-Imperiums fliehen mussten, oft im eigenen Land.
Auf diesen Wegen sind sie mir immer wieder begegnet: ausgediente sowjetische Tankstellen. Wie Mahnungen oder hilflose Gesten des Gestern stehen diese historischen Artefakte an den Rändern der breiter werdenden Straßen und Autobahnen.
Entgegen der Idee der sozialistischen Normierung, welche auch einen Großteil der Architektur der Sowjetzeit betraf, hat jede dieser Tankstellen ihr eigenes Gesicht. Meist ist es deutlich von der Zeit geprägt, zeigt ausgebrochene Zähne und blinde Augen. Ihre Eigenwilligkeit haben sie behalten, auch wenn die meisten von ihnen schon lange nicht mehr genutzt werden. Einstmals Zeichen des Fortschritts, der Mobilität und des wachsenden Wohlstands in den Sowjetrepubliken, sind sie jetzt Relikte dieser Zeit.
Die Tankstellen sind Ausdruck von teils skurriler Eigenwilligkeit, subversiver Kreativität und natürlich auch der Improvisationen in Zeiten von Aufbrüchen, Umbrüchen, Einbrüchen. Sie stehen als Metaphern der Widersprüche eines Systems, in welchem ich selbst aufgewachsen und durch dessen verordnete Gleichheit ich geprägt wurde; Bilder als kleiner Teil im großen Puzzle gesammelter Erinnerungen
AT THE EDGE — The Abandoned Gas Stations of the South Caucasus
Again and again, I’ve driven down the major and minor roads, all across the entire South Caucasus, from Armenia to Georgia to Azerbaijan. I’ve been on the road since 2012, documenting the makeshift lives that have become normal for displaced people. Seeking refuge, they had to flee from countless local conflicts, often times in their own country, after the fall of the Soviet Empire.
I encountered them on these routes, over and over again: out-of-service Soviet gas stations. Like cautionary reminders or helpless gestures of the past, these historical artifacts rise by the side of the increasingly widening roads and highways.
In contrast to socialism’s belief in standardization—which also affected the majority of the era’s architecture—each one of these gas stations wears its individual face. In most cases, time has left its detrimental mark on them: It knocked out teeth and made eyes go blind. The stations managed to keep their peculiarities, however—despite the fact that almost all of them have not been used in a long time now. Once, they were symbols of progress, of mobility, and growing prosperity. Now, they are relics of that period.
These gas stations are an expression of a peculiarity that is bizarre at times, of subversive creativity, and—not least—of the improvisation necessary in times of departure, change, and collapse. As they stand, they serve as metaphors for the system’s contradictions; a system in which I myself grew up, with its forced equality shaping me. They visualize small parts of the mosaic of collected memories.